Der Deutsche Städtetag vertritt die Interessen von rund 3.400 Städten und Gemeinden in Deutschland. Er gewährleistet den Austausch der Städte untereinander und legt gemeinsame Positionen fest. Darüber hinaus bietet der Deutsche Städtetag den Kommunen Orientierung bei politischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen auf Bundesebene und in der Europäischen Union. Wir sprachen mit Dr. Timo Munzinger vom Referat für Stadtentwicklung und Städtebau zu den aktuellen Herausforderungen deutscher Kommunen und was sie sich vom neuen URBACT-Programm in der Förderperiode 2021 bis 2027 erwarten.
Wie schätzen Sie die Rolle von URBACT in der Förderlandschaft ein? Bringt das Programm besonderen Mehrwert?
Um Fördermittel zielgerichtet und erfolgreich investieren zu können, muss ich wissen, wie. Insofern ist der Wissensaufbau und der Erfahrungsaustausch über URBACT ein wichtiger Baustein zu einer erfolgreichen Projektumsetzung. Auch für uns als Deutscher Städtetag ist ein Erfahrungsaustausch unter den Städten wichtig. Wir diskutieren in unseren Gremien über Projekte, Erfahrungen und Meinungen. Nur so können wir am Ende zu einer gemeinsamen Position kommen, die wir gegenüber der EU, Bund und Länder vertreten. Insofern hat die Arbeit im Rahmen von URBACT nicht nur für die beteiligten Städte, sondern auch für uns einen Mehrwert. Wir freuen uns daher, dass das Programm fortgesetzt wird.
Drei neue Schwerpunkte des URBACT-Programms sind der Klimaschutz, die Digitalisierung und die Gendergerechtigkeit. Inwiefern stimmt das aus Ihrer Perspektive mit den aktuellen Herausforderungen der Kommunen in Deutschland überein?
Bei der Oberbürgermeister-Umfrage des Deutschen Instituts für Urbanistik 2021 ist das Thema Klimaschutz auf Rang eins und das Thema Digitalisierung auf Rang drei. Die Corona-Pandemie hat uns den Handlungsbedarf sehr eindringlich vor Augen geführt. Auch die derzeit laufenden politischen und medialen Diskussionen machen deutlich: Diese beiden Themen stehen ganz oben auf der Prioritätenliste der Städte.
Gendergerechtigkeit ist weder medial noch politisch als einzelnes Thema präsent. Dennoch beschäftigen wir uns im Deutschen Städtetage regelmäßig damit – es gibt sogar eine eigene Fachkommission zu diesem Thema. Wenn wir über die Transformation und den Wandel in den Städten reden, dann sollten wir das Thema Gendergerechtigkeit stets mitdenken. Das URBACT an dieser Stelle nicht nur die medial präsenten Themen aufgreift, sondern grundsätzliche Fragestellungen bearbeitet, ist daher von Vorteil.
Vor dem Entwurf des vorliegenden URBACT-Programms wurde eine Bedarfsanalyse europäischer Städte vorgenommen. Inwiefern sehen Sie deutsche Kommunen darin repräsentiert? Gibt es besondere Bedürfnisse für deutsche Kommunen im europäischen Vergleich?
Die Ergebnisse der Bedarfsanalyse decken sich in weiten Teilen mit den Bedarfen der deutschen Städte. Dies ist auch wenig überraschend, da die Herausforderungen oft im Zusammenhang mit weltweiten Megatrends, wie beispielsweise Klimawandel und Digitalisierung stehen. So lassen sich die beiden Top-Bedarfe sowie die Lösungsansätze erklären.
Klar ist aber auch, dass lokale Rahmenbedingungen die Prioritäten deutlich verschieben können. Sofia hat sicherlich eine andere Prioritätensetzung als München, Neapel oder Lissabon. Die Städte in Europa befinden sich in einem Spannungsfeld aus weltweiten Megatrends und lokalen, kleinräumlichen Entwicklungen. Wachstum und Schrumpfung liegen in den Städten manchmal nur eine Straße auseinander. Die breite Streuung der Themen hat daher ihre absolute Berechtigung.
Im letzten URBACT-Programm wurde erstmals die Zusammenarbeit in Transfer-Netzwerken gefördert, bei denen die guten Beispiele einer Stadt auf andere Partnerstädte übertragen wurden. Ist das in ihren Augen ein guter Ansatz?
Nicht alle Ansätze lassen sich auf alle Städte übertragen. Aber es macht durchaus Sinn zu prüfen, welche Bestandteile oder welche Ansätze übertragbar sind und diese dann auch zu transferieren. Nicht jede Stadt muss das Rad neu erfinden. Wichtig ist aber immer die Analyse vorab sowie die finale Anpassung.
Erfahrungsaustausch gewinnt durch die Anwendung des Wissens eine neue Dimension. Wie ich aus eigener Erfahrung berichten kann, ist es deutlich besser nicht nur von einer Lösung zu hören, sondern diese auch in der Praxis selbst umzusetzen. Der Mehrwert ist um ein Vielfaches größer. Ehrlicherweise ist der damit verbundene Aufwand für die Vorabprüfung und die Umsetzung allerdings auch höher. Dennoch sollte der Ansatz fortgeführt werden, wir erwarten uns dadurch einen Mehrwert für die Städte und einen engeren und vertrauensvolleren Austausch untereinander.
Ein weiteres besonderes Anliegen im neuen URBACT-Programm ist es, die Umsetzung der in den Netzwerken erarbeiteten Aktionspläne stärker anzuschieben, auch über die Projektlaufzeit hinaus. Wie kann das in Deutschland gelingen?
Die Idee ist gut, die Umsetzung dürfte allerdings sehr schwierig werden. Auch in Deutschland erleben wir, dass ein Ministerium eine Entwicklung anstößt und das andere Ministerium dieses Projekt nicht zu Ende fördern möchte. Die Städte verwenden sehr viel Personal- und Zeitressourcen darauf, die richtigen Förderprogramme zu suchen und diese untereinander zu koordinieren. Seit zehn Jahren fordern wir als Deutscher Städtetag daher einen integrierten Förderansatz der Ministerien des Bundes und der Länder. Keine Zusammenlegung der Fördertöpfe, sondern eine bessere Abstimmung unter den Fördermittelgebern über die Ziele und Förderinhalte. Ziel sollte es sein, dass die Städte sich mit einem integrierten Entwicklungskonzept bei den unterschiedlichen Fördertöpfen bewerben können und dann eine abgestimmte Bewilligung zur Umsetzung erhalten.
Erste Ansätze bestehen bereits in einzelnen Ländern, wie etwa die Regionale in NRW, und erste Studien existieren auch auf Bundesebene. Allerdings dürfte es noch ein langer Weg bis zur Umsetzung werden.
URBACT war – wie der Deutsche Städtetag auch – wichtiger Inputgeber bei der Entwicklung der Neuen Leipzig-Charta. Welche Rolle spielt URBACT für die Umsetzung dieses politischen Leitdokuments in die städtische Praxis?
Die Neue Leipzig-Charta orientiert sich an den drei Nachhaltigkeitsdimensionen – Ökologie, Ökonomie und Soziales. Diese finden sich zu einem gewissen Grad auch im Entwurf des neuen URBACT-Programms wieder. Ein wesentliches Merkmal der Neuen Leipzig-Charta ist es, dass alle drei Dimensionen gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Hier ist es gut, dass Städte im Rahmen von URBACT weiterhin eine breite Themenvielfalt behandeln können – auch wenn bei begleitenden Maßnahmen zum Wissensaufbau und Kampagnen eine stärkere Priorisierung aufgrund der Bedarfsanalyse stattfindet.
URBACT ist daher ein wichtiger Baustein zur Umsetzung der Neuen Leipzig-Charta. Wie bereits zu Beginn verdeutlicht, stehen der Erfahrungsaustausch und Wissensaufbau vor der Umsetzung. Insofern ist die Priorisierung in URBACT kein Hinderungsgrund. Wichtig ist, dass das Querschnittsthema der Gemeinwohlorientierung aus der Neuen Leipzig-Charta auch in URBACT in allen Teilbereichen aufgegriffen wird.
Das neue URBACT-Programm legt einen Fokus auf die Unterstützung von kleinen und mittleren Städten, die im Programm bislang unterrepräsentiert sind. Was muss aus Ihrer Sicht geschehen, damit sich diese Städte künftig häufiger bei URBACT bewerben?
Dass große Städte grundsätzlich besser mit Personal- und Wissensressourcen ausgestattet sind als kleinere, kann ich aus der Praxis nicht bestätigen. Auch zwischen gleichgroßen Städten gibt es erhebliche Unterschiede. Den Fokus auf kleine und mittelgroße Städte kann ich aber dennoch nachvollziehen, solange es zu keiner Ausgrenzung oder Selektion kommt. Wichtig ist ein möglichst breiter Erfahrungsaustausch unter den Städten. Auch große Städte können von kleineren etwas lernen und vice versa.
URBACT als sehr kleines EU-Programm ist vergleichsweise weniger bekannt. In der alltäglichen Arbeit kommen die wenigsten kommunalen Mitarbeiter in Kontakt mit URBACT, sodass die Existenz und die Vorteile des Programms nur selten bekannt sind. Aus städtischer Sicht würde es daher den Zugang zu URBACT erleichtern, wenn Synergien bei der Kommunikation, Beratung sowie Antragstellung und Abwicklung mit weiteren EU- oder anderen Förderprogrammen geschaffen werden. Ansonsten kann der bürokratische Aufwand und das Kosten-Nutzen-Verhalten Kommunen von einer Bewerbung abhalten.
Der neue URBACT-Programmentwurf hat grundsätzlich viel Zuspruch bekommen. Was sind Ihre Anmerkungen zur neuen Ausrichtung des Programms?
Grundsätzlich gibt es auch von Seiten des Deutschen Städtetages Zuspruch zum neuen URBACT Programmentwurf. Allerdings würden wir uns tatsächlich eine stärkere Rolle von URBACT bei der Verzahnung der unterschiedlichen Netzwerke auf EU-Ebene wünschen. Viele der Netzwerke sind gut, aber den Städten fehlt oftmals das Personal, sich in jedem Netzwerk zu engagieren. Eine bessere Verzahnung der Netzwerke könnte den Wissensaustausch erleichtern und verbessern. Hier sind Formate wie das URBACT-City-Festival, die URBACT Universities oder nationale URBACT-Dialoge wichtige Instrumente, die allerdings noch mehr genutzt werden sollten.
Des Weiteren wäre uns daran gelegen im Rahmen des Erfahrungsaustausches und Wissensaufbaus auch die Komponente einer kollegialen Beratung unter den kommunalen Vertretern zu stärken. Im direkten Gespräch lässt es sich oftmals tiefer in die Themen einsteigen und offener über mögliche Konflikte sprechen.
Insgesamt ist URBACT aber ein sehr hilfreiches Instrument für die Städte und Gemeinden. Wir begrüßen daher ausdrücklich, dass das Programm fortgesetzt wird.
Portraitphoto © Rüdiger Schestag.