Zurück zu einer lokaleren Lebensmittelproduktion und -versorgung: ein Erfolgsrezept?

Edited on 07/12/2020

Lesen Sie hier, wie URBACT-Städte davon profitieren, nachhaltige Lebensmittel und städtische Landwirtschaft zu fördern.

Die URBACT-Programmexpertin Marcelline Bonneau wirft einen Blick auf mehrere URBACT-Partnerstädte, die den Übergang zu nachhaltigeren lokalen Lebensmittelökosystemen vollziehen und veranschaulicht anhand einiger Beispiele, wie sie diesen Prozess umsetzen. Die wichtige Rolle einer integrierten Lebensmittelpolitik auf städtischer Ebene wird dabei besonders deutlich.

Eine Vielzahl von lokalen Versorgungsansätzen in URBACT-Städten

Seit 2013 hat das URBACT-Programm sieben Netzwerke unterstützt, die sich mit Themen der nachhaltigen Ernährung und städtischen Landwirtschaft befassen und rund 50 europäische Städte in transnationales Lernen und transnationalen Austausch einbinden. Hierzu gehören:  Food Corridors, BioCanteens, Ru:rban, BeePathNet, Sustainable Food in Urban Communities, Agri-Urban und Diet for a Green Planet.

Die verschiedenen Themen, die von diesen URBACT-Städten abgedeckt werden, spiegeln die Komplexität unserer Lebensmittelsysteme und die Verflechtungen zwischen den Sektoren und politischen Zielen wider, wie in der nachstehenden Übersicht dargestellt.

Themen, die von URBACT-Netzwerken abgedeckt werden © Marcelline Bonneau

Von Nahrung zu Gesundheit bis Unterstützung von sozialer Gerechtigkeit und Fairness

Die Corona-Pandemie hat zunehmend deutlich gemacht, dass wir sicherstellen müssen, dass niemand zurückbleibt, wenn es um eines unserer wichtigsten Grundbedürfnisse geht, nämlich unsere Ernährung. Unter anderem haben sich Atheniou (CY), Mollet del Vallès (ES), Mailand (IT) und Mouans-Sartoux (FR) während der Pandemie besonders aktiv für die Neuanpassung ihrer Ernährungssysteme eingesetzt und das Thema Solidarität in die weitere Integration ihrer lokalen Ernährungssysteme eingebunden.

In Mollet del Vallès steht das Thema Lebensmittelgerechtigkeit schon seit einigen Jahren auf der Tagesordnung, wie die Beteiligung der Stadt an den URBACT-Netzwerken Diet for a Green Planet und Agri-Urban zeigt. Die „Eat Well in Mollet"-Strategie fördert gesunde Ernährungsgewohnheiten, indem sie den Bürger*innen Zugang zu nährstoffreichen, lokalen, biologischen und nachhaltigen Lebensmitteln verschafft und sie gleichzeitig dazu anregt, sich für gesunde Lebensmittel zu entscheiden. Die Unterstützung im Rahmen der Strategie für prekäre Bevölkerungsgruppen umfasst soziale Kleingärten in einem agro-ökologischen Park.

Workshop mit Familien © Stadt Mollet dèl Vallès

Ernährungssouveränität als Baustein für das lokale Produktionsökosystem

Die Ernährungssouveränität, wie sie von Via Campesina verstanden wird, besagt, dass die Menschen, die Nahrungsmittel produzieren, verteilen und konsumieren, auch die Mechanismen und die Politik der Nahrungsmittelproduktion und -verteilung kontrollieren sollten.

Um Ernährungssouveränität zu erreichen und den lokalen Zugang zu Nahrungsmitteln zu gewährleisten, haben viele Städte die Bedeutung einer stärker lokal ausgerichteten Produktion erkannt und gleichzeitig den biologischen Anbau (auch in städtischen Gärten) sowie nachhaltigere Vertriebsketten (Supermärkte, Märkte, Genossenschaften...) und die Verarbeitung und Zubereitung von Nahrungsmitteln (Catering, Kantinen) unterstützt.

Die LAG Pays de Condruses (BE), die zu den URBACT-Netzwerken Agri-Urban und BioCanteens gehört, hat ein landwirtschaftliches Inkubatormodell eingeführt, das Nahrungsmittelproduktion, Ausbildung und Verkauf kombiniert - das erste derartige Projekt in Wallonien. Das als „Point Vert" (Grüner Punkt) bezeichnete Projekt bietet Zugang zu biologischem Land sowie Infrastruktur und Ausrüstung auf einer Fläche von sechs Hektar (darunter sechs Gewächshäuser von 700 m2). Auszubildende können mit verschiedenen Kulturen und Anbautechniken experimentieren und erhalten technische, unternehmerische und verkaufstechnische Unterstützung. Das Projekt bietet auch einen Raum für Zusammenkünfte und Networking für Landwirte.


Point Vert © Strategic Design Scenarios (SDS)

Darüber hinaus ist die Gewährleistung einer angemessenen Stadtplanung und Bodennutzung ebenfalls zu einem zentralen Hebel bei der lokalen Lebensmittelproduktion geworden. Das noch in den Kinderschuhen steckende Netzwerk der URBACT-Food Corridors versucht, die Verbindungen zwischen Stadt und Land auf der Ebene der Städte und (Mikro-)Regionen zu verstärken.

Food-Tourismus als Schlüsselfaktor für Städte

Andere Städte konzentrieren sich auf die Attraktivität ihres Gebietes, indem sie die lokale Produktion, die Verarbeitung und Zubereitung von Lebensmitteln sowie das Branding und die Werbung für ihre lokalen Produkte ausbauen und verbessern. Dies ist der Schwerpunkt von Amarante (ES), Teil des BeePathNet-Netzwerks, das sich auf die städtische Bienenzucht in Bezug auf die lokale Umwelt, die biologische Vielfalt und die Herausforderungen der Nahrungsmittelselbstversorgung konzentriert. Die Stadt entwickelt eine „Bee Path"-Plattform, um für ihre bienen- und honigbezogenen Produkte zu werben und Tourist*innen anzuziehen. Die Stadt arbeitet sowohl mit Imker*innen als auch mit Schulen zusammen, und selbstverständlich nimmt auch jeder am Weltbienentag teil!


Bee products in Amarente © City of Amarante

Was ist mit uns Menschen?

Viele Städte konzentrieren sich auf die Notwendigkeit, das Verbraucherverhalten zu ändern: Sie laden ihre Bürger*innen dazu ein, mehr biologische, saisonale, lokale und pflanzliche Lebensmittel zu konsumieren und gleichzeitig das Engagement der lokalen Gemeinschaft zu stärken.

In Krakau (PL), Mitglied des Netzwerks Ru:rban, geschieht dies über das Programm „Gardens with Class" (Garten mit Klasse) für Gemeinschaftsbildung und Schulen. Dieses Programm unterstützt die Einrichtung von Gärten in Grundschulen –  eine sowohl in der Form als auch im Inhalt erzieherische Methode, bei der die Natur direkt erlebt wird. Das letztendliche Ziel ist es, die Gärten für die Gemeinschaft zu öffnen und Schullehrer*innen mit Preisen für ihr Engagement und ihre Leistungen zu belohnen. Rund 50 Lehrerinnen und Lehrer sind an 18 Schulen (eine pro Bezirk) beteiligt, wobei ein Nutzen für die örtlichen Gemeinden, die Gesundheit, die Karrieren der Lehrenden und neue Lernmethoden erzielt werden soll.

„Gardens with Class“ in Krakau © City of Krakow

Öffentliche Ausschreibungen als Impulsgeber zur Förderung des lokalen Bio-Konsums

Städte können sich auch dafür einsetzen, dass Wirtschafts- und Gesetzesrahmen von Hindernissen zu Wegbereitern werden, um einen Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit zu fördern. Das öffentliche Vergabewesen ist ein Instrument, das sich für europäische Städte als äußerst nützlich erwiesen hat.

Beispielsweise hat Mouans-Sartoux (FR) - federführender Partner des URBACT-BioCanteens-Netzwerks - die Debatte für gewählte Vertreter*innen und verbeamtete Personen eröffnet, um die Gesetzgebung so anzupassen, dass das öffentliche Beschaffungswesen die Lebensmittelversorgung von Schulkantinen wirksam verbessern kann. Die von Mouans-Sartoux angewandten Schlüsselprinzipien sind:

  • Aussonderung von zuvor großer Lebensmittelproduktion und -distribution, damit lokale Monoproduzenten sich verstärkt einbringen können
  • Systematische und organisierte Einbeziehung und Anstieg des Anteils von Bioprodukten;
  • Einführung von Fragebögen, um das Verständnis für lokale Lieferanten und ihre Produkte zu verbessern; und,
  • Festlegung von Auswahlkriterien zur besseren Berücksichtigung von Qualitäts- und Umweltfragen.

Durch diese Grundsätze ist die Zusammenarbeit mit lokalen Lieferant*innen realistischer und effizienter denn je geworden.

Eine nachhaltige Schulkantine in Mouans-Sartoux © Strategic Design Scenarios (SDS)

Die Bedeutung der lokalen städtischen Lebensmittelpolitik

Dies sind nur einige der vielen Geschichten, die wir aus URBACT-Städten in ganz Europa erzählen können. Über all diese spezifischen und individuellen Beispiele hinaus ist es wichtig, dass die Städte einen angemessenen politischen Rahmen entwickeln, um eine kohärente und strukturierte, aber auch sektorübergreifende und integrierte Art und Weise der Unterstützung von Projekten in den Bereichen Ernährung und städtische Landwirtschaft zu gewährleisten. Dies ist eine besondere Herausforderung, da die Lebensmittelpolitik immer noch von mehreren Ministerien und Abteilungen auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene behandelt wird. Wir haben bisher noch keine Lebensmittelministerien in Europa!

Ein großartiges Beispiel für einen solchen politischen Ansatz und eines der Vorzeigeergebnisse des Netzwerks Sustainable Food in Urban Communities ist die Brüsseler Good Food Strategy. Im Rahmen des Netzwerks entwickelte die Region einen lokalen partizipatorischen Prozess, sammelte Wissen, schuf eine Vision und plante konkrete Maßnahmen.

Co-Creation der Good Food-Strategie in Brüssel © Bruxelles environnement

Die daraus resultierende Strategie wurde 2016 auf den Weg gebracht und folgt den Prinzipien der Inklusion, der Vorbildfunktion der lokalen Behörden, der Partnerschaften, der Bewusstseinsbildung und der Stärkung der Handlungskompetenz der Akteur*innen, eigene Projekte zu initiieren. Die Strategie umfasst 15 Aktionen, die unter sieben thematischen Schwerpunkten strukturiert sind:

  1. Förderung der lokalen nachhaltigen Nahrungsmittelproduktion;
  2. Unterstützung des Übergangs zu einer re-lokalisierten und nachhaltigen Versorgung für alle;
  3. Förderung des Wandels der Nachfrage hin zu nachhaltigeren Nahrungsmittelprodukten für alle;
  4. Entwicklung einer nachhaltigen und wünschenswerten Kultur des „guten Essens";
  5. Reduzierung der Lebensmittelabfälle;
  6. Gestaltung und Förderung der Lebensmittelsysteme der Zukunft; und
  7. Gewährleistung der strategischen Umsetzung.

Nach dem Erfolg dieser Strategie ist eine neue, weiterführende Strategie für 2022 auf dem Weg, die erneut von allen Interessenvertreter*innen des Brüsseler Lebensmittelökosystems mitgestaltet wird.

Wir freuen uns auf die Ergebnisse der laufenden URBACT-Netzwerke im Zusammenhang mit Lebensmitteln und auf die Erfahrungen der Partnerstädte auf ihrem Weg zu einem besseren Zugang zu lokalen Qualitätsprodukten für ihre Bürger*innen.

Sind Sie interessiert an mehr nachhaltigen Lebensmittelpolitiken und -ansätzen? Lesen sie hier mehr über bisherige Projekte unserer Partnerstädte und Netzwerke oder künftige Artikel zum Thema Lebensmittel (englisch).

Aus dem Englischen von Lilian Krischer.

Die Originalversion des Artikels finden Sie hier.

Submitted by Heike Mages on 26/10/2020
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Heike Mages

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