Das UBRACT-IV-Programm wurde im September 2022 verabschiedet. Der Gesamtansatz des Programmes bleibt ähnlich wie bislang, Austausch und Netzwerkarbeit europäischer Kommunen stehen nach wie vor im Vordergrund. Auch die thematische Offenheit für alle Bereiche der Stadtentwicklung bleibt erhalten, allerdings hat sich URBACT in der Förderperiode 2021-2027 drei Schwerpunkte gesetzt: Klima, Gendergerechtigkeit und Digitales. Was aber verbirgt sich hinter diesen Schlagworten? Welche Relevanz haben diese Bereiche für die Stadtentwicklung in Europa und wo können Städte ansetzen, wenn sie zu diesen Themen in einem URBACT-Netzwerk arbeiten möchten? Um uns dem Thema Gendergerechtigkeit anzunähern, sprachen wir mit Dr. Mary Dellenbaugh-Losse. Sie ist freiberufliche Stadtforscherin, Beraterin und Autorin sowie Lead-Expertin im URBACT-Netzwerk GenderedLandscape. Gemeinsam mit Dr. Bianca Dreyer hat sie im Auftrag von URBACT den Gender Equal Cities Bericht verfasst, der Empfehlungen für Städte und Gemeinden gibt, um Geschlechtergerechtigkeit in verschiedenen Bereichen zu fördern.
Was genau bedeutet gendergerechte Stadtentwicklung?
Gendergerechte Stadtplanung heißt, dass wir Gender, also das „soziale Geschlecht“, bewusst berücksichtigen, wenn wir für die Stadt relevante Entscheidungen treffen. Das ist wichtig, weil sich Männer und Frauen, sowie Menschen, die sich weder als eins der beiden fühlen, unterschiedlich durch die Stadt bewegen. Sie nutzen zum Beispiel verschiedene Dienstleistungen, sie bewegen sich an unterschiedlichen Orten zu verschiedenen Uhrzeiten und fühlen sich dabei mehr oder weniger wohl. Wenn wir Gender dementsprechend in der Stadtentwicklung berücksichtigen, ist es zum Beispiel für Frauen bzw. für Personen, die nicht nur berufstätig sind, sondern unbezahlte Care-Arbeit leisten, einfacher, diesen Alltag zu bewältigen. Diese Analyse und Berücksichtigung von Gender nennt man „Gender Mainstreaming“.
Wie macht sich gendergerechte Stadtentwicklung im Stadtbild bemerkbar?
Wenn wir vom Stadtbild sprechen, bemalen wir nicht die Gehwege rosa, sodass sofort sichtbar ist, dass das gendergerechte Stadtplanung ist. Typische Beispiele sind Angsträume, die man versucht zu beseitigen, etwa indem man Unterführungen besser beleuchtet oder Notrufsäulen aufstellt. Es gibt aber auch Themen, die viele Leute betreffen, die dann aus der gendergerechten Perspektive umgesetzt werden können, beispielsweise breitere Geh- und Radwege. So können Menschen mit Kindern in Begleitung nebeneinander gehen oder mit dem Fahrrad fahren. Ein wichtiger Punkt ist auch, dass dabei nicht nur heterosexuelle Paare mit Kindern im Mittelpunkt stehen. Ich will aber auch betonen, dass Gender Mainstreaming ein Werkzeug ist, das Gender-Blindheit, also der unbeabsichtigten Diskriminierung, entgegenwirkt. Gender Mainstreaming stellt allerdings die Rollen von Männern und Frauen im heteronormativen Sinne in unserer Gesellschaft nicht in Frage. Deswegen kann man Gender Mainstreaming auch kritisch betrachten, weil es ja nicht die Mutter sein muss, die die Care-Arbeit übernimmt. Deswegen könnte man auch anstatt gendergerechter Stadtplanung familiengerechte Stadtplanung sagen, oder von einer Stadtentwicklung sprechen, die auf Sicherheit ausgerichtet ist. Es ist nur ein Blickwinkel, mit dem man sich unterschiedliche Themen anschauen kann. Weil Frauen als Kategorie in der Stadtentwicklungsanalyse öfter vergessen werden, beschäftigt sich diese Arbeit mit den Bedürfnissen von Frauen in der Stadt.
Wie macht sich gendergerechte Stadtentwicklung in der Verwaltung bemerkbar?
Das könnte zum Beispiel eine Arbeitsmarktrelevanz haben, sodass es mehr Diversität in der Entscheidungs- und Ausführungsebene gibt. Also dass beispielsweise mehr Frauen und nicht nur weiße Personen aus Akademiker.innenhaushalten in diesen Positionen arbeiten. Ganz wichtig ist auch, dass Bürger:innenbeteiligungsformate anders gestaltet sind, sodass angebotsorientierte Beteiligungsformate und aufsuchende Formate ausgewogen sind, damit auch Mütter oder Väter mit kleinen Kindern an den Formaten teilnehmen können.
Worum ging es beim URBACT-Netzwerk GenderedLandscape und was sind die wichtigsten Ergebnisse?
Der Schwerpunkt war Gender Mainstreaming in der Kommunalpolitik in all seinen Facetten: egal, ob es um Arbeitsmarktpolitik, Stadtentwicklung, die gendergerechte Nutzung von kommunalen Liegenschaften oder um Themen wie Smart City geht. Man hat gespürt, wie viele Themen Gendergerechtigkeit berührt. Das war für mich als Lead-Expertin auch eine Herausforderung. Das Netzwerk bestand aus sechs Städten, drei davon waren relativ erfahren in dem Themenbereich und drei waren Neuanfänger. Ein wichtiges Ergebnis war das Bewusstsein für das Thema. Mit den Small Scale Actions konnten wir immer wieder zeigen, dass diese gendergerechten Maßnahmen wirklich eine Wirkung haben und nicht nur ein Luxus-Thema sind. In La Rochelle in Frankreich beispielsweise wurde als Ergebnis des Netzwerks eine neue Stelle für eine Gendergerechtigkeitsexpertin in der Stadtverwaltung geschaffen.
URBACT unterstützt Gendergerechtigkeit auch auf Programmebene, etwa mit dem Gender Equal Cities Report. Was waren die wichtigsten Learnings?
Das Spannendste, was ich bei diesem Bericht gelernt habe, war, dass wir in jedem Thema der Kommunalpolitik Gender berücksichtigen können. Das geht los bei sozialen Themen wie Arbeitsmarktsegregation oder Arbeitsmarktpartizipation, Kitas, Horte oder Kinderbetreuung bis hin zu Katastrophenbereitschaft oder Klimawandel. Wir haben in dem Bericht auch ein Kapitel zu Diversität und Inklusion eingebaut, das dann auch Alter, Zugänglichkeit oder körperliche Beeinträchtigungen anspricht. Das ist wichtig, weil wir uns oft auf Leute konzentrieren, die im mittleren Alter sind, ohne körperliche Einschränkungen und normalerweise weiß und heterosexuell. Es ist wichtig, dass wir die Diversität der Menschen in unseren Städten berücksichtigen. Das war für mich und Bianca Dreyer auch ein besonderes Anliegen.
Warum hat das Thema solche Relevanz bei URBACT?
Wir wissen durch den European Institute for Gender Equality (EIGE) Index, dass die Rechte von Frauen in den letzten Jahren zurückgegangen sind. Wir haben die Gewinne, die wir vorher gemacht hatten, in der Pandemie teilweise wieder eingebüßt. Zum Beispiel was die Zeit angeht, die Männer und Frauen in die Kinderbetreuung investieren, oder die Arbeitsmarktpartizipation. Viele Frauen haben ihren Job wegen der Pandemie und den damit verbunden Aufgaben, wie dem Home-Schooling, aufgegeben. Wir machen nicht den Fortschritt, den wir machen sollten.
Vor welchen Herausforderungen stehen Städte, die eine gendergerechte Stadt befördern wollen?
Das größte Problem ist es, die Menschen zu überzeugen. Gender wird ganz oft entweder als Luxus-Thema bzw. Partikularinteresse angesehen oder als etwas, dass wir machen, wenn alle anderen Themen abgearbeitet sind. Die Überzeugungsarbeit muss sowohl auf der politischen Entscheidungsebene geleistet werden, als auch auf der Ausführungsebene. Dabei geht es vor allem darum, dass man Menschen hat, die sich um die Umsetzung kümmern. Außerdem sollten insbesondere auch mehr Männer überzeugt sein, dass dieses Thema relevant ist. Ich glaube, das Thema der Überzeugung ist die harte Nuss, die jede Stadt, die an dem Thema arbeiten will, knacken muss.
Was muss deiner Meinung nach noch passieren, damit mehr Städte gendergerecht werden?
Wenn man vom Wort „Mainstreaming“ mit der Endung „-ing" ausgeht, sieht man, dass es ein Wort des Prozesses ist. Das ist der Prozess, das Thema Gender zu normalisieren. Genau das muss stattfinden: Gender darf nicht als Randthema oder Partikularinteresse wahrgenommen werden, es sollte ganz natürlich und normal sein, dass man es berücksichtigt. Genau wie die Bedürfnisse von Migrantin:innen oder die Bedürfnisse von Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen. Es ist völlig klar, dass wir niemals in der Stadtentwicklung sagen würden, dass Menschen im Rollstuhl ein Luxusproblem sind. Warum sagen wir das über Gender?
Warum ist URBACT gut geeignet, um den Weg in Richtung gendergerechte Städte anzugehen?
Ich finde es wichtig, dass URBACT die Leute dazu bringt, Gender mitzudenken und die Städte mit Capacity-Building unterstützt. Mit Bianca Dreyer habe ich beispielsweise einen „Gender Equal Cities Curriculum“ erarbeitet, der bald veröffentlicht wird und in dem in fünf Modulen erklärt wird, wie man Gender in allen Maßnahmen berücksichtigen kann. Dabei geht es um das Monitoring, die Analyse, das Datensammeln, aber auch um die Implementierung und die Einbettung in das integrierte Handlungskonzept. Ich finde es auch einen Vorteil, dass man bei URBACT Zeit hat, um sich auszutauschen und langsam lernen zu dürfen; um Sachen zu üben und mal auszuprobieren.