Wie unterstützt das europäische URBACT-Programm Städte dabei, voneinander zu lernen und Erfolgsrezepte für eine integrierte Stadtentwicklung zu erarbeiten? Was bringt die laufende Förderperiode für Neuerungen, wann startet der erste Call, welche Themen sind Priorität und wie funktioniert die Netzwerkarbeit mit anderen europäischen Städten konkret? Darum ging es bei der Infosession zu URBACT im Rahmen des Bundeskongresses Nationale Stadtentwicklungspolitik am 14. September 2022 in Berlin. Organisiert wurde die Session von der Nationalen URBACT-Kontaktstelle für Deutschland und Österreich. Rund 40 Personen nahmen an der Neben-Veranstaltung des Kongresses teil.
Viel von anderen Ländern lernen
Tilman Buchholz, stellvertretender Referatsleiter im Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) machte deutlich: „Der Mehrwert des URBACT-Programms ist es, über den nationalen Tellerrand zu schauen. Wir können viel von anderen Ländern lernen.“ Das BMWSB ist in Deutschland die nationale Verwaltungsbehörde für URBACT und sitzt im Monitoring Committee. Buchholz betonte, dass der partizipative Ansatz von URBACT Städte dabei unterstütze, die Ziele der Neuen Leipzig-Charta umzusetzen. Außerdem bilde die Teilnahme an einem URBACT-Netzwerk oft einen Impuls: Mit dem dort erarbeiteten Aktionsplan ist es später leichter, Anschlussförderung zu akquirieren, etwa im Rahmen der Städtebauförderung oder der Mittel aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung.
URBACT: Austausch und Wissenstransfer
Hauke Meyer von der Nationalen URBACT-Informationsstelle stellte das URBACT-Programm noch einmal im Überblick vor: URBACT unterstützt Städte aller Größen dabei, Stadtentwicklungs-Strategien und Aktionsplänen zu erarbeiten. Es ermöglicht den Austausch und den Wissenstransfer zwischen den Partnerstädten eines thematischen Netzwerks und eröffnet den Teilnehmenden Zugang zu Fachwissen und methodischen Ansätzen im Bereich der Stadtentwicklung. Die Ergebnisse werden breit gestreut und kommuniziert. Gefördert werden also der Austausch, die Konzepterstellung und das Lernen, keine investiven Maßnahmen.
Neuerungen in der aktuellen Förderperiode
Er ging auch auf die zu erwartenden Neuerungen in der aktuellen Förderperiode 2021-2027 ein. Im Januar 2023 startet der erste Call zur Bildung von URBACT-Netzwerken, konkrete Details zum Call sowie das final verabschiedete URBACT-IV-Programm werden erst im November veröffentlicht werden. Große Änderungen sind nicht zu erwarten, allerdings hat sich das URBACT-Programm drei neue Schwerpunktthemen gesetzt: Klimaschutz, Gendergerechtigkeit und Digitalisierung. Aber auch alle anderen Themen einer integrierten, nachhaltigen Stadtentwicklung werden nach wie vor förderfähig bleiben. Zudem sollen kleine und mittlere Städte stärker berücksichtigt werden. Auch die Umsetzung soll (neben der konzeptionellen Erstellung der Integrierten Aktionspläne) künftig im Rahmen von sogenannten „Small Scale Actions“ eine größere Rolle spielen. Zudem wird URBACT stärker mit anderen EU-Programmen und Fördermitteln verlinkt, etwa mit den Urban Innovative Actions (UIA), der Urbanen Agenda für die EU und der Kohäsionspolitik generell. Meyer betonte, dass eine URBACT-Teilnahme nationale und internationale Netzwerke stärke, die Mitarbeitenden der Städte motiviere und mit den Aktionsplänen, die die Städte konzipieren müssen, ideal dazu sei, eine investive Anschlussförderung vorzubereiten.
Gendergerechte Stadtplanung: Wer gestaltet?
Zum Abschluss der Session standen, moderiert von Heike Mages von der Nationalen Kontaktstelle, die drei neuen Programm-Schwerpunktthemen Klima, Gendergerechtigkeit und Digitalisierung sowie die generellen Vorteile einer URBACT-Teilnahme im Fokus. Was genau bedeutet Gendergerechtigkeit in der Stadtentwicklung? Dr. Mary Dellenbaugh-Losse, Stadtforscherin, Beraterin sowie Lead Expertin des URBACT-Netzwerkes „GenderedLandscape“, legte zunächst die Bandbreite des Themenbereichs dar: „Bei gendergerechter Stadtplanung geht um mehr als Frauenparkplätze und Angsträume.“ Vielmehr stünde die Stadt der kurzen Wege im Zentrum und die Frage, wie einfach es ist, eine bestimmte Art von Leben in der Stadt zu führen und wer die Entscheidung darüber trifft, wie die Stadt gestaltet wird. Da Frauen öfter die unbezahlte Care-Arbeit übernehmen und sich dadurch viel im unmittelbaren Umfeld bewegen sowie häufiger auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen sind, betrifft gendergerechte Stadtplanung somit auch Quartiersgestaltung und Mobilitätsthemen, also zum Beispiel: Welche Taktung haben Bus oder S-Bahn und wie voll sind sie? Die schwedische Stadt Umeå, Lead Partner bei GenderedLandscape, sei hier eine Vorreiter-Kommune, die das Thema auch bei der Entwicklung neuer Quartiere mitdenkt.
Klimaschutz: Keine Stadt kann dieses Problem alleine lösen
Nils Scheffler, Urban Expert und zuletzt Lead Experte beim URBACT-Netzwerk ALT/BAU legte dar, was der Bereich „Klima“ in der Stadtentwicklung alles abdecken kann. Er machte zwei Hauptansätze aus: Klimaschutz und Klimaanpassung. Entscheidend sei, gerade auch angesichts des Kriegs in der Ukraine, dass Städte weniger Treibhausgase generieren und ihren Energiebedarf neu organisieren, etwa über erneuerbare Energien. Andere Bereiche sind öffentlicher Nahverkehr sowie genug Platz für Fußgänger und Radfahrer, der Umgang mit Hitzeinseln, Stürmen und Starkregen, Kreislaufwirtschaft, nachhaltiger Tourismus, nachhaltige regionale Märkte sowie das Aufrechterhalten der Lebensqualität trotz der Klimawandelfolgen. Er machte deutlich, dass es bei all diesen Bereichen bei URBACT nicht um technische Lösungen ginge. Vielmehr stünden die Verhaltensänderungen der Akteur:innen im Vordergrund, die man mit der gemeinsamen Erarbeitung von Aktionsplänen erreichen könne. „Man muss Partnerschaften aufbauen, keine Stadt wird diese Probleme alleine lösen.“
Digitalisierung: lokales Expert:innenwissen nutzen
Steffen Budweg, Innovationstreiber und zuletzt mit der Stadt Dinslaken Partner im URBACT-Netzwerk ActiveCitizens, erzählte, wie die Stadt im Rahmen des Netzwerks die digitale Bürger:innenbeteiligung vorangebracht hat. Generell habe die Online-Beteiligung den Vorteil, dass auch Menschen erreicht werden, die normalerweise nicht zu öffentlichen Partizipationsveranstaltungen kommen. In Dinslaken wurde mit lokalen Expert:innen und dem Lokalausschuss der Stadt ein Hackaton durchgeführt und dabei überlegt, mit welchen digitalen Lösungen verschiedene Herausforderungen gelöst werden können. Am Ende entstanden u.a. ein System, mit dem Nutzer:innen Recycling-Container in der Stadt besser tracken können sowie ein digitales Kartentool, bei dem Jugendliche mit ihrem Smartphone Eingaben zur Verbesserung ihres direkten Umfeldes machen können.
Mehrwert und Tipps für Kommunen
Welchen Mehrwert hat URBACT und welche Tipps können die drei Expert:innen zur Umsetzung geben? „Man sollte ein Thema aussuchen, das in der Stadt sowieso auf der Agenda steht“, so Nils Scheffler. Außerdem empfiehlt er, URBACT zu nutzen, um lokale Akteure einzubeziehen, etwa über die „URBACT Local Group“, die alle Netzwerkstädte vor Ort gründen müssen. Wichtig sei, dass auch Entscheidungsträger wie etwa Bürgermeister:innen bei den Treffen dabei seien und die personellen Kapazitäten ausreichend sind. Steffen Budweg sagte: „Es macht sehr viel Spaß, mit den ganzen Partnern vor Ort und in Europa zu arbeiten, das sind ganz unterschiedliche Leute und man kommt raus aus seinem Silo.“ Zusammen könne man im Fall Digitalisierung dann vieles schaffen, wofür sonst die Ressourcen fehlten. Wichtig sei es, dass man sich auch traue, zu scheitern, denn URBACT rege ja explizit zum Experimentieren an: „Haben Sie Mut, probieren Sie aus, es wird sich lohnen!“ Mary Dellenbaugh-Losse betonte die Vorteile des Austauschs: „Das themenübergreifende Zusammenarbeiten ist eine Bereicherung.“
Die nächste Informationsveranstaltung zu URBACT und zum neuen Call im Januar 2023 findet am 20./21. Oktober 2022 in München statt. Sollten Sie in der Zwischenzeit Fragen haben, wenden Sie sich gerne an uns, Ihre Nationale URBACT Kontaktstelle für Deutschland und Österreich.
Fotonachweise von oben nach unten:
Bild 1 & 2: Heike Mages
Bild 3: Lilian Krischer
Bild 4: Steffen Budweg