Sechs URBACT Good Practices, die Wohnen in Europa sicherer und leistbarer machen

Edited on 30/04/2025

Innovativer, nachhaltiger, sozial inklusiver und leistbarer Wohnraum in Wien

Innovativer, nachhaltiger, sozial inklusiver und leistbarer Wohnraum in Wien

Europa steckt in einer Wohnungskrise“, erklärte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Juli 2024 vor dem Europäischen Parlament.

Wohnen ist grundlegend für unsere tägliche Gesundheit, unser Wohlbefinden und unsere Würde. Doch laut Daten von Eurostat, die vom Europäischen Parlament zitiert werden, sind die Wohnungspreise in der EU in den letzten 10 Jahren gestiegen. Darüber hinaus geben mehr als 1 von 10 Haushalten in den Städten der EU mittlerweile mehr als 40 % ihres verfügbaren Einkommens für Wohnen aus.

Wie können lokale Stadtverwaltungen darauf reagieren?

Zur Inspiration werden hier sechs praktische Lösungen präsentiert, die in europäischen Städten und Gemeinden genutzt werden, um den Zugang zu sicherem, angemessenem Wohnraum zu verbessern. Alle gehören zu den neuesten nachhaltigen Stadtentwicklungslösungen, die offiziell als URBACT Good Practices ausgewählt wurden – nicht nur wegen ihrer lokalen Auswirkungen, partizipativen und integrierten Ansätze, sondern auch wegen ihrer Übertragbarkeit auf andere Städte und Gemeinden.

Lesen Sie weiter für Highlights zum jeweiligen Ansatz und nehmen Sie wertvolle Erkenntnisse zur Verbesserung des Wohnraums in Ihrer eigenen Gemeinde, unabhängig von ihrer Größe mit. 

Stakeholder zusammenbringen, um Substandard Wohnungen zu bekämpfen

Ein proaktiver Ansatz, an dem alle Beteiligten mitwirken (Multi-Stakeholder-Ansatz) ist unerlässlich, um die Lebensbedingungen in heruntergekommenen, ungesunden und unsicheren Wohngebieten zu verbessern. 

Die folgenden drei Lösungen bringen verschiedene Akteursgruppen - von privaten Eigentümer:innen bis hin zu Staatsanwält:innen - zusammen, um gegen Substandard-Wohnungen vorzugehen und gleichzeitig die soziale Eingliederung und ökologische Nachhaltigkeit zu fördern.

#1 – Clichy-sous-Bois, Grigny, Mantes-la-Jolie und Villepinte (FR)

Dieser Rahmen zur Verbesserung von Privatwohnungen konzentriert sich auf private Eigentumswohnungen in vier Pariser Vororten, die alle unter finanziellen und technischen Schwierigkeiten, unzureichendem Wohnen und verwahrlosten öffentlichen Räumen leiden.

Die Initiative wird von der Etablissement public foncier d’Île-de-France (EPFIF) im Rahmen eines lokalen Programms zur Verbesserung von Privatwohnungen (ORCOD-IN) durchgeführt. Sie umfasst sowohl kurzfristige Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensbedingungen als auch langfristige Transformationsprojekte, zum Beispiel:

  • Abriss der am stärksten heruntergekommenen Eigentumswohnungen oder Umwandlung in sozialen Wohnbau, Sanierung öffentlicher Einrichtungen und Begrünung öffentlicher Räume.
  • Verbesserung und Diversifizierung von Wirtschaft und Handel
  • Methodische Unterstützung und Zuschüsse für die Eigentümergemeinschaften zur Behebung finanzieller Schwierigkeiten und Verbesserung der Energieeffizienz.
  • Soziale Unterstützung für Eigentümer:innen, um bei Schulden und administrativen Problemen zu helfen, und gegebenenfalls Umsiedlung in sozialen Wohnbau.

Die partnerschaftliche Governance ist um technische und Lenkungskomitees organisiert, in die viele Akteursgruppen eingebunden sind: von privaten Eigentümer:innen, Wohnungseigentümergemeinschaften und Geschäftsinhabern bis zu staatlichen Behörden, sozialen Wohnbauorganisationen, Gerichten, Polizei, Stadtverwaltungen, Agglomerationen, Départements und der Region.

Building

 

#2 – Schaerbeek (BE)

Das Wohnungsinspektionssystem ILHO (Investigation Logement Huisvesting Onderzoek) in Schaerbeek vereint verschiedene Akteursgruppen zur Bekämpfung unsicherer Lebensbedingungen und der Ausbeutung durch Vermieter:innen und zur Verbesserung der Lebensqualität der Mieter:innen. In neun Jahren haben 1.000 Haushalte in 137 Gebäuden davon profitiert.

Koordiniert von den Abteilungen für Stadtplanung und Bevölkerung, sammelt ILHO Daten aus verschiedenen Quellen, darunter Polizei, Stadtplanung und Steuerbehörden. In einem abteilungsübergreifenden Ansatz informiert die Polizei die Stadtplanung über Mietzahlen und den Status der Unterkünfte, und die Abteilung für Bevölkerung teilt Informationen über unzulässige Wohnregistrierungen mit.

Dies ermöglicht es ILHO, Wohnungen mit unzureichender Belüftung, hoher Luftfeuchtigkeit und anderen ernsthaften Gesundheits- und Sicherheitsproblemen zu identifizieren. Beamte besuchen priorisierte Wohnungen – zusammen mit der Stadtplanung, Polizei und anderen Behörden nach Bedarf – was es der Staatsanwaltschaft ermöglicht, strafrechtliche Maßnahmen gegen Vermieter:innen zu ergreifen. ILHO unterstützt auch Vermieter:innen bei der Renovierung unzureichender Gebäude und hilft Mietern mit sozialen und juristischen Bedarfen.

Inzwischen haben auch andere Stadtteile Brüssels wie Ixelles und Anderlecht das Schaerbeeker Modell übernommen, einschließlich des neuen „Würde-Systems“ in Anderlecht.

Schaerbeek SAME Festival

 

#3 – Garges-lès-Gonesse (FR)

Ein Instrument zur Überwachung von Wohnraum (VOC) befasst sich mit Substandard-Eigentumswohnungen. Es wird von der nationalen Regierung empfohlen, ist aber nicht vorgeschrieben. Es verfolgt negative Entwicklungen in großen Wohnkomplexen, ermittelt die notwendigen Maßnahmen und bietet maßgeschneiderte Lösungen für von Problemen betroffenen Eigentumswohnungen.

Mit Hilfe dieses Instruments untersuchte Garges-lès-Gonesse 4 800 Wohneinheiten in 64 Eigentumswohnungen, von denen 41 mehr als 55 % unbezahlten Beiträgen hatten. Die Maßnahmen umfassten Schutzpläne, ein spezielles operationelles Betriebsprogramm und thermische Renovierungsarbeiten - mit einem durchschnittlichen Energiegewinn von 45 %.

Die Stadt und die Präfektur arbeiten partnerschaftlich zusammen, wobei die Präfektur Anordnungen für Verstöße gegen das Gesetz über das öffentliche Gesundheitswesen in Bezug auf Substandard-Unterkünfte erlässt. Zwischen 2021 und 2023 wurden für solche Verstöße Strafen von über 100 000 EUR verhängt.

Was können Städte daraus lernen?

Jede dieser Ansätze hat effektiv Umwelt-, Wirtschafts- und Sozialprobleme im Zusammenhang mit Wohnraum (z. B. unzureichendes Wohnen, Überbelegung, Ausbeutung vulnerabler Bewohner:innen) angegangen. Unabhängig davon, ob privat oder öffentlich, ist ein systematischer Multi-Stakeholder-Ansatz von entscheidender Bedeutung, ebenso wie geeignete Regulierung, Vollstreckung sowie finanzielle und rechtliche Instrumente.

Dazu gehört auch die intersektorale Partnerschaft zur Sammlung und Weitergabe von Daten über spezifische Wohnprobleme und eine darauf abgestimmte Reaktion – sowohl kurzfristig als auch langfristig.

Im Fall der Praxis #2 teilt das ILHO-Team seinen Ansatz bereits mit anderen Städten, zum Beispiel über die Vereinigung der Städte und Gemeinden (Brulocalis).

Building

 

Innovative Modelle, die Bewohner:innen und Eigentümer:innen stärken

In den folgenden praktischen Beispielen zeigen Städte, wie sie von unkonventionellen Ansätzen profitieren können. Durch innovative, nachhaltige Ansätze verbessern Städte den Zugang zu leistbarem Wohnraum – und revitalisieren dabei gleichzeitig Außenräume, verringern die Klimabelastung und fördern die Gemeinschaftsentwicklung, Inklusion und Vielfalt.

#4 – Trnava (SK)

Die Revitalisierung öffentlicher Räume im Rahmen eines offenen Designwettbewerbs und zahlreicher Konsultationsrunden im Rahmen eines umfassenden partizipativen Prozesses revitalisierte einen öffentlichen Raum in einer Wohnsiedlung. Elemente umfassen neue grüne und blaue Infrastruktur zur Steigerung der ökologischen Stabilität und Bereiche für inklusive Aktivitäten wie einen Gemeinschaftsgarten, Spiel- und Sportplätze für alle Altersgruppen sowie einen öffentlich zugänglichen Schulhof. Verbesserungen in Bezug auf die Sicherheit beinhalten neue öffentliche Beleuchtung, Gehwege und bessere soziale Kontrollmechanismen. Dutzende Bäume wurden gepflanzt, und pflegeleichte Bereiche wurden eingeführt, einschließlich Wiesen für Bestäuber. Es gibt auch einen Bach und einen bioaktiven Teich.

Der ehemals triste, offene Raum mit minimaler Ausstattung, vernachlässigten Wegen und unsicherem urbanem Mobiliar ist nun ein biodiverser, beliebter Freizeitort und eine Quelle des Wohlbefindens für die Anwohner:innen.

#5 – Göteborg (SE)

Göteborg setzt auf intelligente Gestaltung und Zusammenarbeit vor Ort, um das Sicherheitsgefühl zu stärken und Menschen mit besonderen Bedürfnissen in regulären Wohngegenden unterzubringen.

Diese Praxis wurde als Reaktion auf teure, nicht nachhaltige Strategien entwickelt, die sozial benachteiligte Gruppen an den Rand der Städte drängen, durch feindliche Architektur, Überwachung und Regulierung. Sie bezieht explizit die Perspektiven sozial benachteiligter Menschen mit ein, wenn es um Stadtentwicklung und Sicherheitsfragen geht.

Der Ansatz umfasst drei Hauptteile:

  1. Ein Kooperationsmodell für ortsbezogene Zusammenarbeit im Bereich betreutes Wohnen, das die Bedürfnisse sozial benachteiligter Menschen gleichwertig mit jenen der Gesamtbevölkerung berücksichtigt;
  2. Ein funktionales Konzept für betreutes Wohnen, das der Stadt als Leitlinie für die zukünftige Auswahl und Ausstattung geeigneter Räumlichkeiten für sozial vulnerable Personen dient;
  3. Eine Überprüfung bestehender Stadtentwicklungsprozesse, um im Rahmen von Pilotprojekten bessere Ansätze für die Einbeziehung sozial benachteiligter Gruppen in die Stadtplanung zu erproben.

Gothemburg

#6 – Wien (AT)

Der Bauträgerwettbewerb stellt sicher, dass innovative, nachhaltige, sozial inklusive und erschwingliche Wohnungen gebaut werden. Der wohnfonds_wien (Fonds für Wohnbau und Stadterneuerung) lädt sowohl gemeinnützige als auch kommerzielle Bauträger ein, sich bei Wettbewerbsausschreibungen zu bewerben. Dabei entwickeln Bauträger und Architekt:innen gemeinsam mit Expert:innen ihre Realisierungskonzepte für die ausgelobten Bauplätze. Eine interdisziplinäre Fachjury ermittelt die Siegerprojekte. Dabei kommen vier Qualitätskriterien in vier Hauptkategorien zur Anwendung: 

  • Wirtschaftlichkeit: Grundkosten, Gesamtkosten des Baus, Nutzungskosten und Vertragsbedingungen.
  • Soziale Nachhaltigkeit: Eignung für den Alltag, Kostenreduktion durch Planung, gemeinschaftliches Wohnen, Wohnungen für sich verändernde Bedürfnisse.
  • Architektur: Gebäude- und Wohnungsstruktur.
  • Ökologie: Klimafreundlicher Bau, der Ressourcen schont, gesundes und umweltbewusstes Wohnen sowie grüne Außenräume.

Was können Städte daraus lernen?

Jeder der hier vorgestellten Ansätze zeigt, wie wertvoll innovative und partizipative Stadtgestaltung für leistbares, nachhaltiges und inklusives Wohnen ist.

Städte und Gemeinden in der gesamten EU können diese Instrumente übernehmen und an ihre eigenen Prioritäten und Herausforderungen anpassen – und so Bewohnerinnen und Eigentümerinnen stärken, die Lebensqualität verbessern und widerstandsfähigere, lebendigere Gemeinschaften aufbauen.

Vienna

Städte bündeln ihre Kräfte, um Europas Wohnkrise zu bewältigen

Die hier vorgestellten Beispiele zeigen eindrucksvoll, welche Kraft Städte entfalten können, um leistbaren, sicheren und nachhaltigen Wohnraum für alle zugänglich zu machen.

Entdecken Sie die ganze Bandbreite der erprobten URBACT Good Practices – bewährte Lösungen für urbane Herausforderungen wie Klimaschutz, Energieeffizienz, Mobilität oder soziale Inklusion.

Ist Ihre Stadtverwaltung bereit, Teil eines Netzwerks europäischer Städte zu werden, die eine der 116 aktuellen URBACT Good Practices übernehmen und weiterentwickeln? Dann informieren Sie sich über den neuen Call für Transfernetzwerke, der von 1. April bis 30. Juni 2025 geöffnet ist – und nehmen Sie an den Online-Infosessions des URBACT-Sekretariats teil!

 


Der Artikel basiert auf der Übersetzung des URBACT-Artikels "Six URBACT Good Practices making housing safer and more affordable across Europe".

 

Submitted by on 30/04/2025
author image

Martina Bach

See all articles