Was passiert mit unseren Jobs, wenn Städte klimaneutral werden?

Edited on 04/04/2023

Green jobs @IStock

URBACT-Experte Eddy Adams untersucht die möglichen Auswirkungen des grünen Wandels auf Beschäftigung und wie Städte Arbeitnehmer:innen schützen können.

Die Temperaturen haben diesen Sommer ein Rekordhoch in ganz Europa erreicht. In West-Frankreich sprachen Meteorolog:innen von einer Hitze-Apokalypse, da mehr als 25.000 Menschen vor den Waldbränden aus ihren Häusern fliehen mussten. In Spanien, Italien und Portugal wurde aufgrund verheerender Brände und zahlreichen Hitzetoten der Notstand ausgerufen. Auch in Nordeuropa herrschten Temperaturen, die man normalerweise mit dem Nahen Osten in Verbindung bringt. Ein aktueller Bericht des Deutschen Umweltministeriums schätzt die finanziellen Auswirkungen von Dürre, Überschwemmungen und extremer Hitze seit dem Jahr 2000 auf 145 Milliarden Euro.

 

Der Klimanotstand ist eine reale und gegenwärtige Gefahr. Um dem entgegenzuwirken, hat sich die Europäische Union verpflichtet, bis 2050 klimaneutral zu werden – ein zentrales Ziel des Europäischen Green Deal. Die Städte stehen bei diesem Wandel an vorderster Front, denn sie tragen weltweit am meisten zu den Treibhausgasemissionen bei (laut UN Habitat mehr als 60 Prozent), verbrauchen 78 Prozent der weltweiten Energie und sind Wohnort von 65 Prozent der Bevölkerung in der Europäischen Union. Das URBACT-IV-Programm hat dies erkannt und „Grüne Städte“ als eine seiner strategischen Prioritäten festgelegt. Doch wie wirkt sich die Klimaneutralität auf Arbeitsplätze und Qualifikationen aus, wenn unsere Wirtschaft in weniger als einer Generation diesen umfassenden ökologischen Wandel durchläuft?

 

 

Was sind grüne Jobs?


Die beiden Megatrends „grün“ und „digital“ werden sich auf alle Wirtschaftszweige und alle beruflichen Qualifikationsstufen auswirken. Die EU prognostiziert, dass einige kohlenstoffintensive Industrien bis 2050 ganz verschwinden werden. Dazu gehören der Stein- und Braunkohlebergbau und die damit verbundenen Dienstleistungen, sowie die Öl- und Gasförderung. Es wird erwartet, dass durch den Niedergang dieser Sektoren 338.000 Arbeitsplätze wegfallen, die vor allem in bestimmten Regionen angesiedelt sind. Auch wenn die Mitgliedstaaten derzeit die Stilllegung dieser Sektoren als Reaktion auf die durch den Krieg in der Ukraine ausgelöste Energiekrise hinauszögern, bleibt das übergeordnete Ziel der europäischen Green-Deal-Politik erhalten: die Klimaneutralität.

 

Vier weitere Industriezweige – die chemische Industrie, die Herstellung von Nicht-Metallerzeugnissen, die Metallerzeugung und -bearbeitung sowie der Automobilsektor – werden sich voraussichtlich völlig verändern, da ihr Energie- und Materialverbrauch revolutioniert wird. Der sich bereits vollziehende Wandel wird jedoch wahrscheinlich alle Industriezweige betreffen. Eine sehr enge Definition der "grünen Wirtschaft" geht von einer relativ bescheidenen Zahl von 4,5 Millionen Arbeitnehmer:innen in der EU aus. Die EU-Daten zeigen jedoch, dass in den kohlenstoffarmen Sektoren – den am schnellsten wachsenden Wirtschaftszweigen – bereits mehr als 70 Prozent der Arbeitnehmer:innen beschäftigt sind. Da das Konzept der Kreislaufwirtschaft in wichtigen, energiereichen Industriezweigen wie dem Baugewerbe verankert ist, auf das derzeit ein Drittel aller energiebezogenen Emissionen in der EU und über 35 Prozent der Abfälle entfallen, wird sich dieser Trend fortsetzen, ebenso wie die Nachfrage nach gut ausgebildeten Arbeitskräften aller Qualifikationsstufen.

 

 

Was bedeutet das für die Kompetenzen in der Stadt?
 

 

Wie Ed Glaeser, Harvard-Wirtschaftsprofessor und Experte für Städte, immer wieder betont, sind Kompetenzen ein wertvolles Gut für jede Stadt. Erfolgreiche Städte sind diejenigen, die Talente fördern, halten und anziehen. Unternehmen brauchen qualifizierte Mitarbeitende, und Arbeitnehmer:innen müssen ihre  Fähigkeiten ständig verbessern, um auf einem wettbewerbsorientierten Arbeitsmarkt gefragt zu bleiben. In diesem Zusammenhang beschleunigt sich das Tempo des Wandels – angetrieben durch digitale Innovationen und die Notwendigkeit, die Kohlenstoffemissionen zu reduzieren. Gleichzeitig schätzt die OECD, dass die Nachfrage nach niedrigeren Qualifikationen aufgrund der Automatisierung und anderer digitaler Entwicklungen weiter sinken wird. All dies bedeutet, dass die Arbeitnehmer:innen sich häufig weiterbilden müssen, um bei den Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt auf dem Laufenden zu bleiben.

 

Das ist ein potenziell wachsendes Problem für die städtische Wirtschaft. Die Zahl der offenen Stellen steigt, während die Arbeitslosigkeit und die wirtschaftliche Inaktivität weiter zunehmen. In der kürzlich aktualisierten EU-Qualifikationsagenda wurde festgestellt, dass 70 Millionen Erwachsene in der EU nicht über grundlegende Rechen-, Lese- und digitale Fähigkeiten verfügen. Gleichzeitig gibt es eine große – und potenziell wachsende – Qualifikationslücke, da Arbeitgeber:innen Schwierigkeiten haben, Mitarbeiter:innen mit den richtigen Qualifikationen zu finden.

 

Jüngste Untersuchungen zeigen jedoch, dass höher qualifizierte Personen am ehesten an Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen. Nur eine:r von fünf gering qualifizierten Arbeitnehmer:innen nimmt an Weiterbildungsmaßnahmen teil, oft aus Mangel an Geld, Wissen oder Zeit. Es ist also ein grundlegender Wandel erforderlich, wenn wir eine wachsende Qualifikationslücke mit dem Risiko einer zunehmenden sozialen Polarisierung vermeiden wollen.

 

 

Wer ist am meisten gefährdet, den Anschluss zu verlieren – und was tun Städte dagegen?

 


Das Konzept des „Gerechten Übergangs“ (Just Transition), das ursprünglich von den Gewerkschaften in Nordamerika entwickelt wurde, bedeutet, Klimaneutralität zu erreichen, ohne Personen oder Orte zurückzulassen. Es ist ein zentraler Bestandteil des europäischen Green Deal. Der kürzlich erschienene Bericht „Skills for a Green Future“ von Urban Innovative Actions (UIA) konzentriert sich auf die Beschäftigungs- und Qualifikationsdimension des Gerechten Übergangs und beschreibt die Herausforderungen, denen sich Städte gegenübersehen, sowie die innovativen Ansätze, die als Reaktion darauf entwickelt wurden. Darin werden fünf spezifische Gruppen genannt, die Gefahr laufen, bei der Umstellung der Wirtschaft auf Klimaneutralität zurückzubleiben:

 

1. Vulnerable Personen, die auf dem Arbeitsmarkt bereits marginalisiert sind
2. Geringqualifizierte Arbeitskräfte
3. Frauen, ältere Menschen und Jugendliche
4. Kleinstunternehmen und Selbstständige
5. Arbeitnehmer:innen in energieintensiven und stark kohlenstoffemittierenden Branchen

 

Auf dem URBACT City Festival 2022 zeigte Maarten van Kooij, strategischer Berater der niederländischen Stadt Rotterdam, dass die Arbeitnehmer:innen in Rotterdam, die bereits in prekären Arbeitsverhältnissen und Sektoren tätig sind, im Zuge des wirtschaftlichen Wandels zunehmend gefährdet sind. Die Pandemie hat ihre Situation offengelegt, was sich daran zeigt, dass 15 000 der 43 000 Selbstständigen der Stadt während der Krise eine vorübergehende Einkommensunterstützung benötigten. Da sie nur über begrenzte Mittel verfügen und kaum Zugang zu Berufsberatung und -ausbildung haben, sind sie nach wie vor schlecht informiert und für den sich bereits vollziehenden Wandel unzureichend gerüstet. Rotterdam entwickelt neue Ansätze, um dieses Problem anzugehen, darunter die innovativen Work Learning Agreements.

 

Anamaria Vrabie, Direktorin der Urban Innovation Unit, wiederholte diese Punkte aus der Perspektive von Cluj-Napoca in Rumänien. Obwohl die Wirtschaft der Stadt in den letzten zehn Jahren einen großen Aufschwung erlebt hat, hat ihre Arbeit erhebliche Risiken aufgrund des hohen Automatisierungsgrades aufgezeigt, die sich vor allem auf die Geringqualifizierten auswirken. Unterstützt durch das starke Hochschulangebot war das Wachstum der Kreativ- und Kulturindustrie Teil der Erfolgsgeschichte von Cluj. Die Pandemie hat jedoch die Anfälligkeit vieler Arbeitnehmer:innen in diesem Sektor deutlich gemacht, der von Kleinstunternehmen und Selbstständigen geprägt ist. Die Entwicklung des sogenannten Culturepreneur-Programms, mit dem die Widerstandsfähigkeit der Kultur- und Kreativwirtschaft gestärkt werden soll, war eine wichtige Innovation. Im Rahmen des UIA-Projekts "Cluj Future of Work" (Cluj - Zukunft der Arbeit) erprobt die Stadt außerdem innovative Ansätze, um die Beschäftigungsfähigkeit einer der am stärksten benachteiligten Bevölkerungsgruppen Europas – der Roma –  zu verbessern, und zwar durch potenzielle Verbindungen zur Kreislaufwirtschaft.

 

Sonia Dominguez, Leiterin für EU-Fonds in Viladecans, zeigte, wie die Unterstützung von Kleinstunternehmen eine Priorität geblieben ist, nachdem die spanische Stadt diese als gefährdet eingestuft hatte. Das öffentliche Beschaffungswesen war eine wichtige Triebkraft für den Bewusstseinswandel in diesem Bereich, ebenso wie die Einrichtung digitaler und realer Räume zur Förderung der sektorübergreifenden Zusammenarbeit in der Stadt. Dies hat sich als besonders wirksam erwiesen, um den Dialog zwischen Unternehmen in "alten" und "neuen" Sektoren zu erleichtern.

 

"Cities in the frontline of the climate emergency"-Panel auf dem URBACT City Festival im Juni 2022.

 

Wie der UIA-Bericht feststellt, wird die Energiewende auch Auswirkungen auf das Geschlechterverhältnis in der Erwerbsbevölkerung haben, da nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation mehr Arbeitsplätze geschaffen werden, die traditionell mit Männern assoziiert werden. So sind beispielsweise im Sektor der erneuerbaren Energien, in dem die Zahl der Arbeitsplätze von 10,3 Millionen im Jahr 2017 auf fast 29 Millionen im Jahr 2050 ansteigen soll, nur 32 Prozent der derzeitigen Arbeitskräfte Frauen. Als Reaktion darauf hat Viladecans gezielte Maßnahmen für Frauen ergriffen, um sie für den sich vollziehenden Beschäftigungswandel und die damit verbundenen Chancen und Gefahren zu sensibilisieren. 

 

Die Verknüpfung von Geschlechtergleichstellung und dem Übergang zur Klimaneutralität ist offensichtlich. Das Gleiche gilt für die Notwendigkeit, die Themen Klima und soziale Gerechtigkeit effektiv miteinander zu verbinden, wenn die Städte einen gerechten Übergang erreichen wollen, wie Mathew Bach von ICLEI – Local Governments for Sustainability in der URBACT-City-Festival-Sitzung bemerkte. Dies erfordert fundierte Investitionen und die Förderung einer abteilungsübergreifenden Zusammenarbeit innerhalb der Verwaltungen sowie wirksame Partnerschaften zwischen dem öffentlichen, dem privaten und NGO-Sektor.

 

 

Wie geht es jetzt weiter?

 

Die vor uns liegenden Herausforderungen können nicht hoch genug eingeschätzt werden. Entsprechend dem Slogan „Es gibt keinen Planeten B“ müssen Städte bei der Umsetzung des Übergangs zu einem klimaneutralen Europa die Führung übernehmen. Die Vorreiter zeigen bereits den Weg auf, und Initiativen wie die EU-Mission "Klimaneutrale Städte" und "Scalable Cities" geben das Tempo vor. Um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen, ist jedoch eine Massenbewegung erforderlich, bei der auch kleine und mittelgroße Städte voll mit an Bord sind. Um alle Städte bei einem erfolgreichen Übergang zu unterstützen, muss jeder seinen Beitrag leisten.

 

Ein gerechter, grüner Übergang erfordert auch eine intelligente Zusammenarbeit über traditionelle Sektoren hinweg, die durch intelligente strategische Investitionen unterstützt wird. Das Programm URBACT IV mit seinen Säulen "grüne", "digitale" und "geschlechtergerechte" Städte antizipiert diese Bedürfnisse in den Städten und wird Raum für Zusammenarbeit, Peer-Learning und den Aufbau von Kompetenzen und Kapazitäten bieten. URBACT wird auch eine Plattform für den Transfer von Erfahrungen und Techniken für wirksame städtische Interventionen einrichten, und zwar sowohl durch eigene bewährte Verfahren als auch durch die laufende Zusammenarbeit mit UIA und der künftigen Europäischen Städteinitiative.
 

 

Das Programm URBACT IV (2021-2027) wird den Grundsatz beibehalten, dass es den Städten überlassen bleibt, ihre eigenen Netzwerkthemen entsprechend ihrer Bedürfnisse und Prioritäten auszuwählen. Dennoch wird es auch ausdrücklich darauf abzielen, das Bewusstsein und die Kapazitäten aller Programmakteur:innen zu stärken, um bereichsübergreifende Überlegungen wie Digitalisierung, Umwelt und Gleichstellung der Geschlechter besser in ihre Arbeit und Aktivitäten sowohl auf Programm- als auch auf Netzwerkebene einzubeziehen.

 

 

Der Artikel basiert auf dem aus dem Englischen übersetzten Artikel „What will happen to our jobs when cities go climate neutral?“ von Eddy Adams. Übersetzung von Maximiliane Elspaß.

Submitted by Eddy Adams on 20/09/2022