Kooperative Wohnmodelle, die die Bedürfnisse der Bewohner*innen vor den privaten Profit stellen, erhöhen den Standard für bezahlbaren und angemessenen Wohnraum. Dieses Modell ist Teil eines breiteren Spektrums an Wohnraumkonzepten, die im Rahmen von drei Webseminaren mit dem übergeordneten Titel „Städte-Engagement für ein Recht auf Wohnen“ vorgestellt wurden. Organisatoren waren die Programme URBACT und Urban Innovative Actions (UIA).
Artikel von URBACT-Expertin Laura Colini und URBACT-Experte Levente Polyak
Normalerweise beruhen derartige Wohnformen auf Verwaltungshandeln, das individuelle Wünsche mit kollektiven Bedürfnissen in Einklang zu bringt und eine soziale Mischung der Mieter*innen gewährleistet. Gemeinschaftlich koordiniertes Wohnen bringt zudem Wohnformen hervor, die besser darauf abgestimmt sind, die komplexen sozioökonomischen, gesundheitlichen und ökologischen Bedürfnisse des Einzelnen, von Gemeinschaften und Städten im 21. Jahrhunderts zu erfüllen.
"Es besteht kein Zweifel daran, dass das gemeinschaftliche Wohnen immer wichtiger werden wird, da es unter anderem Konzepte wie Unterstützung und Solidarität beinhaltet, die sich viele Menschen wünschen.“ Michalis Goudis, Kommunikationsdirektor bei Housing Europe
Dieser Artikel stellt häufige Formen von kooperativen und gemeinschaftsorientierten Wohnungsbauprogrammen vor, die bei den Webinaren diskutiert wurden. Außerdem wird darüber reflektiert, welchen Beitrag diese zur Erfüllung moderner gesellschaftlicher Bedürfnisse leisten. Schließlich wird der Frage nachgegangen, was auf europäischer Ebene getan werden könnte, um derartige Lösungsmodelle als Teil eines umfassenden Ansatzes des Rechtes auf Wohnen zu unterstützen.
Vielfalt verstehen: Gemeinschaftlich koordiniertes Wohnen
Es gibt eine ganze Reihe an Beschreibungen für gemeinschaftlich koordiniertes Wohnen. Dazu zählen zum Beispiel "kollektives", "kollaboratives", "durch die Bewohnerschaft-geführtes", "partizipatives" und "selbstorganisiertes" Wohnen, sowie die Begriffe "Ko-Wohnen", "soziale Produktion von Wohnraum" und "Selbstbau". Ein roter Faden sind zudem die Beteiligung der künftigen Bewohner*innen und die kollektive Entscheidungsfindung, ebenso wie die Vision von Wohnen und Boden als Gemeingut. Diese Modelle werden weithin als eine Ergänzung zu staatlich oder kommunal geförderten Wohnungsbauprogrammen angesehen und gehen über die einfache Deckung des primären Wohnungsbedarfs hinaus. Treiber für derartige Wohnmodelle sind in der Regel Erschwinglichkeit, Sehnsucht nach Gemeinschaftsleben und soziale Eingliederung, ebenso wie progressive Ansichten zur Gleichstellung der Geschlechter, zur ökologischen Nachhaltigkeit und zum demografischen Wandel. Kooperative Wohnmodelle können daher eine wichtige Quelle des sozialen Zusammenhalts in europäischen Städten sein und verschiedene Formen der sozialen Isolation und materiellen Verarmung überwinden. Die Vielfalt der Ansätze, die die Aktivistinnen und Aktivisten erforschen, hat das Wohnen auch zu einem wichtigen Innovationsfeld gemacht was gemeinschaftliches Engagement, soziale Eingliederung, Solidarwirtschaft, ethische Finanzierung und partizipatives Design angeht.
Dr. Darinka Czischke, Rednerin beim Webinar und Forscherin an der TU Delft, betont außerdem, dass gemeinschaftliches Wohnen im vergangenen Jahrhundert viele Veränderungen durchlebte. Die wohl am meisten verbreitete Version ist die des Genossenschaftswohnens, das in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts als Teil der größeren Genossenschaftsbewegung entstand. Verschiedene soziale Ereignisse trugen später dazu bei, dass Alternativen zu öffentlichem und marktwirtschaftlich geführtem Wohnungsbau gesucht wurden. Dazu gehören die Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre, die die Gründung des ersten Community Land Trusts (CLTs) vorantrieb, genauso wie die emanzipatorischen Bewegungen der 1970er Jahre, die schließlich zu neuen Formen des kollektiven Lebens führten. In jüngerer Zeit hat die globale Wohnungskrise in vielen Städten eine neue Generation von Wohnungsaktivisten hervorgebracht, die zur Gründung von Genossenschaften, selbstverwalteten Kollektivwohnungen und CLTs aufrufen. In unserem Webinar konzentrierten wir uns anhand von Städtebeispielen, die von UIA oder URBACT gefördert wurden, auf drei Modelle: die Genossenschaft, die Community Land Trusts und die Modelle des gemeinsamen Wohnens. Durch das Webinar bot sich die Gelegenheit, aktive Stimmen aus allen Bereichen zu hören, darunter die von ausgewählten Mitgliedern, Beamten und Aktivisten. In den folgenden Abschnitten werfen wir einen genaueren Blick auf einige dieser Formen.
Kollaborative Wohnformen im globalen Norden, von Dr. Darinka Czischke
Kooperatives Wohnen: Ein relevanter Ansatz
Andreas Wirz, Vorstandsmitglied der Schweizerischen Wohnbaugenossenschaft, erklärte, sein Land habe eine lange Tradition des genossenschaftlichen Wohnbaus. Diese Tradition ist auf einen Impuls der 1980er Jahren zurückzuführen, als eine neue Welle der Begeisterung für alternative Formen des Zusammenlebens ausbrach. Heute gibt es in Zürich rund 35.000 genossenschaftliche Wohneinheiten, während 25 Prozent aller Mietwohnungen nicht gewinnorientiert sind. Die Wohnungsgenossenschaften bieten eine große Vielfalt an Größen und Grundrissen einzelner Wohnungen, kombiniert mit kollektiven Räumlichkeiten. Solche Modelle können somit wirksam auf die Bedürfnisse der Gemeinschaft sowie der verschiedenen Familien und Einzelpersonen eingehen, und zwar auf eine Art und Weise, die nicht nur die kostengünstigste Art des Wohnens in der Schweiz darstellt, sondern auch weniger Platz beansprucht als andere Wohnformen. Das Schweizer Modell, mit seinem etablierten System des genossenschaftlichen Wohnens, setzt auf eine starke Zusammenarbeit mit öffentlichen Akteuren. In Zürich zum Beispiel werden die lokalen und regionalen Wohnbauförderungen durch Hypothekengarantien des Bundes und eine Zentralstelle für gemeinnützigen Wohnungsbau ergänzt. Darüber hinaus unterstützt der Schweizerische Verband der Wohnbaugenossenschaften neue Wohnprojekte mit innovativen Fonds, Solidaritätsfonds und Kapitalbeteiligungen.
Durchmischte Vielfalt mit verschiedenen Wohnungstypen und -größen in der Kooperative Kalkbreite Zürich. Copyright: Kalkbreite, 2014
Nicht alle europäischen Wohnbaugenossenschaften haben eine so langjährige Tradition. In Chemnitz zum Beispiel, der federführenden Partnerstadt des URBACT-Transfernetzwerks ALT/BAU, das sich auf die Aktivierung von ungenutzten und verfallenen Wohnungsbeständen konzentriert, wurden die ersten Wohnungsgenossenschaften von Grund auf neu errichtet. Volker Tzschucke, Mitbegründer einer der ersten Wohnbaugenossenschaften in Chemnitz, erläuterte im Webinar, wie durch einen organisch wachsenden Freundes- und Bekanntenkreis mit Hilfe einer lokalen Genossenschaftsbank ein neues Paradigma des Wohnens in der Stadt entstand. In einer schrumpfenden Stadt wie Chemnitz kann das Genossenschaftsmodell ein wichtiges Instrument zur gemeinschaftlichen Sanierung von leer stehenden Gebäuden und Wohnungen sein.
Community Land Trust : Eine wertvolle Alternative zur Immobilienspekulation
Ein wesentliches Merkmal von Community Land Trusts (CLT) ist, so Arthur Cady von CLT Brüssel (CLTB) beim Webinar, dass sie Land und Wohnungen vor Immobilienspekulationen schützen. Sie tun dies, indem sie "Land erwerben und es mit einem langfristigen Erbpachtvertrag an Hauseigentümer des Gebäudes, das sich auf demselben Land befindet, verpachten". Bei diesem Mechanismus wird das Land treuhänderisch verwaltet, und nur die Gebäude werden zu festen Preisen verkauft. Diese bleiben so dauerhaft erschwinglich. Im Gegensatz zu anderen bezahlbaren Wohneigentumsprogrammen, bei denen öffentliche Subventionen den Preis vervollständigen müssen, ist bei CLTs nur eine Anfangsinvestition erforderlich, um Bauland und Gebäude zu erwerben bzw. zu renovieren. Dies ist der innovative Ansatz, der derzeit im Rahmen des UIA-Projekts CALICO erprobt wird, bei dem die öffentliche Finanzierung entscheidend war, um das Land zu kaufen und den Preis der Einheiten für strukturarme Bevölkerungsgruppen erschwinglich zu halten.
Da es sich um ein Modell handelt, das in erster Linie auf Wohneigentum basiert, fragten einige Teilnehmenden des Webinars, was geschehen würde, wenn die Eigentümer die CLT-Einheiten verkaufen wollten. Den Eigentümern ist es erlaubt, zum gleichen Preis des Kaufs plus 25 Prozent der Wertschöpfung zu verkaufen, unabhängig davon, wie lange sie schon dort gelebt haben, sodass der Preis für die Transaktion unter dem Marktpreis bleibt. Die gesamte Bewohnerschaft der CLTB hat normalerweise Anspruch auf Sozialwohnungen, was die CLTB zu einem offiziell anerkannten Anbieter von Sozialwohnungen mit regelmäßigen Zuschüssen der Region Brüssel-Hauptstadt macht. CALICO umfasst ein Programm für alleinstehende Frauen und für Bewohnerinnen aus verschiedenen Generationen, wobei Betreuungseinrichtungen und -dienste in das Wohnprojekt integriert sind. CLTB hat außerdem ein demokratisches Governance-System, das nicht nur Behörden und Bewohnerschaft, sondern auch Nachbarn und Zivilgesellschaft mit einbezieht. Dies ermöglicht es der Stadtgesellschaft, sich am Entwicklungsprozess zu beteiligen und mitzubestimmen. Zu den Bemühungen der CLBT gehören auch die Ausbildung von Menschen in der Verwaltung des Miteigentums, die Schaffung von Gemeinschaftsräumen, die von lokalen Vereinigungen genutzt werden können, sowie die Bereitstellung von Boden für lokale Initiativen.
Neueste Trends und Bemühungen im kollektiven Wohnungsbau
Heute gibt es in Europa 109 CLTs in England und Wales, 22 in Frankreich, vier in Belgien und viele andere, die gerade in Irland, den Niederlanden und Deutschland entstehen. Hier unterstützt auch das Interreg-Projekt "Sustainable Housing for Inclusive and Cohesive Cities" (SHICC), das den Aufbau erfolgreicherer CLTs in Städten in Nordwesteuropa (NWE) 2017-2020 unterstützen soll.
Das erste deutsche CLT wird derzeit in Berlin konzipiert, einer Stadt, in der bereits mehr als 500 Wohnprojekte durchgeführt werden, deren Grundstücke in den letzten Jahren jedoch praktisch unzugänglich waren. Wie Michael LaFond, Gründer des Institute of Creative Sustainability und der Datenbank cohousing berlin, im Webinar erläuterte, bieten die CLTs hier einen Lernprozess, der die Erfahrungen mit Ko-Wohnen und genossenschaftlichen Wohnprojekten auf eine andere Ebene hebt. Die Berliner CLT - genannt Stadt Boden Stiftung - wird eine "Bürgerstiftung" sein, eine demokratisch organisierte lokale Organisation mit direkter Beteiligung der Bewohnerschaft, des Quartiers, der Spendengeber und Spendengeberinnen, der öffentlichen Einrichtungen sowie von Experten und Expertinnen. Somit wird das Berliner CLT mehr als nur einigen Wenigen das Wohnen ermöglichen, während zeitgleich ein kohärenterer politischer Rahmen, eine engere Zusammenarbeit mit der lokalen Regierung, breitere demokratische Entscheidungsstrukturen und eine solidere, langfristige Perspektive für gemeinschaftliches Wohnen in der Stadt geschaffen werden.
Andere Formen des gemeinschaftlichen Wohnens wurden auch in weniger günstigen institutionellen Rahmenbedingungen erprobt. In einem Kontext mit wenig Tradition der Zusammenarbeit und einem rasch schrumpfenden öffentlichen Wohnungssektor hat sich der Budapester Stadtteil Zugló an der Entwicklung des von der UIA finanzierten E-Co-Housing-Projekts zur Schaffung einer neuen, ökologisch nachhaltigen Gemeinschaft beteiligt. Rebeka Szabó, stellvertretende Bürgermeisterin des Bezirks, erklärte, dass Zuglós Ambition darin bestehe, einen Prototyp für ein wirtschaftlich machbares und ökologisch nachhaltiges soziales Wohnungsbauprogramm zu schaffen, das auf lokaler Ebene ohne die Notwendigkeit staatlicher Unterstützung übertragen werden kann. In Zusammenarbeit mit Unternehmen für grüne Technologien, Umwelt- und Sozial-NGOs und einer Universität hat die Bezirksgemeinde eine Fokusgruppe damit beauftragt, einen Wohnblock mit Gemeinschaftsräumen und intelligenten Technologielösungen mitzugestalten. Dieser ermöglicht es beispielsweise der zukünftigen Bewohnerschaft, ihren Energieverbrauch zu überwachen.
Kooperatives Wohnen: Welche Rolle spielt die EU?
Auch wenn das gemeinschaftliche Wohnen nicht alle Wohnprobleme Europas lösen kann, können verschiedene nichtspekulative Besitzformen Teil der Lösung sein. Sie können eine Schlüsselrolle bei einigen dringenden Bedürfnisse Europas spielen, etwa was Ungleichheiten im Wohnungswesen, soziale Ausgrenzung oder Nachhaltigkeit betrifft. Alles Themen, die zudem durch die Auswirkungen von Covid-19 verschärft wurden. Kooperatives Wohnen setzt die Bewohner und die Gemeinschaft an erste Stelle, stellt Governance in den Mittelpunkt ihrer Initiativen und bietet Modelle für bezahlbaren und ökologisch nachhaltigen Wohnraum. Die Städte tragen entscheidende Verantwortung, wenn es darum geht, sicherzustellen, dass ihre Bürger vom Zugang zu angemessenem und erschwinglichem Wohnraum profitieren. Gleichzeitig kann die nationale und sogar die europäische Ebene eine wichtige Rolle bei der Unterstützung solcher Bemühungen spielen. Dazu zählen der Europäische Fonds für regionale Entwicklung, der Europäische Sozialfonds, die Europäische Investitionsbank, das Programm Invest EU und viele mehr. Wichtig ist auch die Vernetzung von Städten, die durch URBACT unterstützt werden, genauso wie die Erprobung innovativer Programme durch UIA und andere Austauschinitiativen wie housing2030. Die Urbane Agenda für die EU (UAEU) hat bereits eine Schlüsselrolle gespielt, indem sie die Partnerschaft zu bezahlbarem Wohnraum unterstützt hat. Darin kamen die Vertreter von Städten, Mitgliedstaaten und verschiedenen europäischen Institutionen und Initiativen zusammen. Sie haben sich im Dezember 2018 auf einen gemeinsamen Aktionsplan mit den Schwerpunkten "bessere Rechtsetzung", "besseres Wissen und bessere Verwaltung" und "bessere Finanzierung" geeinigt.
Die gemeinsame Lernaktivität von URBACT und UIA zum Thema „Städteengagement im Recht auf Wohnen" baut direkt auf dieser und anderen Arbeiten der Partnerschaften der EU Urban Agenda auf. Insbesondere das Pionier-URBACT-UIA-Webinar zum Thema kommunal geführter Wohnmodelle trug zu Empfehlungen des Partnerschaftsaktionsplans über gute Wohnungspolitik und -verwaltung bei, während lokale, regionale und nationale EU-Ebene unterstützt wurden. Michalis Goudis schloss das Webinar mit der Bemerkung ab, dass diese Art von Erfahrungsaustausch ein klarer Beitrag für die Zukunft sei, der die EU-Charta der sozialen Rechte und die Europäische Säule der sozialen Rechte zu einem Brennglas für alle EU-Politiken mache.
Zum englischen Originalartikel von Laura Colini und Levente Polyak